Menschen & Mächte Spezial: Feuernacht - Österreich und die Südtirol Bomben

12. Juni 1961, Herz Jesu-Nacht. Martha Ebner wird durch Detonationen aus dem Schlaf gerissen. Ein Blick aus dem Fenster: Der Bozner Talkessel ist für kurze Zeit taghell erleuchtet. Bald wird die Südtirolerin erfahren, dass in dieser Nacht im ganzen Land 37 Strommasten gesprengt wurden. Die junge Frau ahnt nicht, dass es sich um eine Attentatswelle handelt, die als „Feuernacht“ in die Geschichte eingehen wird.
So konnte es nicht weiter gehen. Ich wollte was für die Heimat tun, damit die Kinder noch Deutsch reden dürfen, sagt einer der Attentäter, Sepp Mitterhofer, heute. Der Achtzigjährige erklärt, wie es zu den Anschlägen kam, die das Interesse der Weltöffentlichkeit auf das kleine Land Südtirol lenkten. Er erzählt von der enttäuschten Hoffnung der Südtiroler nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu Österreich zu kommen; von den Schutzbestimmungen für die Südtiroler im Pariser Abkommen, die von Italien zwar unterschrieben, aber nicht umgesetzt worden seien. Die Italianisierungpolitik sei auch nach dem Krieg weitergegangen, nur mit anderen Mitteln. „Vom Todesmarsch der Südtiroler“ ist in den fünfziger Jahren in einem Zeitungskommentar zu lesen. Es gab Menschen in Südtirol, die das Gefühl hatten, sich wehren zu müssen.
Der „Befreiungsausschuß Südtirol (BAS)“ wird gegründet. Der Name ist Programm: Ziel ist die Rückgliederung Südtirols an Österreich. „Das oberste Gebot war aber, keine Menschenleben zu gefährden“ unterstreicht Sepp Innerhofer, das letzte lebende Gründungsmitglied des BAS.
Im Winter 1961 wird ein Attentat mit symbolischer Bedeutung verübt. Sechzig Jahre danach erinnert sich Bruno Hosp an jenen Moment als „der Alu-Duce in Waidbruck ausgeritten hat“. Die Scherben des Mussolini-Abbildes werden als Andenken gesammelt. „Dem Kreisky haben wir auch eine übergeben“, weiß Fritz Molden, der zum politischen Komitee des BAS gehörte. Der damalige Außenmister Kreisky ist durchaus über die Aktivitäten in Südtirol informiert. Er empfängt eine Delegation des BAS in seiner Wiener Wohnung. Da plant die Widerstandsgruppe bereits den großen Schlag: In einer einzigen Nacht soll die Stromversorgung der oberitalienischen Industrie gekappt werden. „Wenn die Hochöfen erlöschen, wäre der finanzielle Schaden riesig gewesen“, sagt einer der Attentäter von damals. Trotzdem gibt es ein Todesopfer: Der Straßenwärter Giovanni Postal stirbt bei dem Versuch, eine nicht explodierte Sprengladung zu entfernen. Es wird weitere Tote geben, auf beiden Seiten.
Der Paukenschlag ist gelungen: Die Öffentlichkeit wird aufgerüttelt. Plötzlich gibt es einen „Südtirol-Konflikt“. Doch der Preis ist hoch: Mitte Juli 1961 rollt eine Verhaftungswelle durch das Land. In den Carabinieri-Kasernen werden die Attentäter grausam gefoltert. Drei Südtiroler sterben an den Folgen der Misshandlungen.

50 Jahre nach der Feuernacht will die Dokumentation ein spannendes Kapitel Zeitgeschichte verständlich machen. Wie konnte ein solcher Konflikt in einem sich einigenden Europa entstehen? Inwiefern gab es österreichische Unterstützung für die Feuernacht? Welche Rolle haben Politiker gespielt? Ehemalige Attentäter (Josef Innerhofer, Josef Mitterhofer, Klaudius und Herlinde Molling, Sepp Forer), ein ehemaliger Carabiniere und Politiker (Pietro Mitolo, Franz Widmann, Lionello Bertoldi, Peter Jakowitsch, Ludwig Steiner) erinnern sich. Journalisten wie Hans Karl Peterlini und Umberto Gandini beurteilen Südtirols Weg vom Krisenherd zur Vorzeige-Autonomie.

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